“Verstehen bedeutet Muster zu erkennen”
Isaiah Berlin, Philosoph, 1909-1997“So lange Gewohnheit und Routine unser Leben bestimmen, werden keine neuen Dimensionen unserer Seele auftauchen”
Henry van Dyke, Kurzgeschichtenautor und Essayist, 1852-1933
Die Bedeutung der Mustererkennung
Wenn wir über Muster oder Mustererkennung sprechen, denken wir oft an einfache visuelle Bilder wie Streifenmuster. Aber unsere Fähigkeit, Muster zu erkennen, ist viel hochentwickelter und geht weit über die Erkennung solcher einfacher Muster hinaus.
Wir können visuell verschiedene Baumtypen unterscheiden wie auch Typen von Autos oder können zum Beispiel den künstlerischen Stil von Edgar Degas in Bildern wiedererkennen. Wir erkennen aber nicht nur visuelle Muster, sondern hören sie auch in Geräuschen oder in Musik; wir nehmen das taktile Muster einer Holzoberfläche wahr, das geschmackliche Muster von Mango, und wir können auch intellektuelle Muster wiedererkennen, wie zum Beispiel eine bestimmte Strategie, die ein Gegner beim Schachspiel verwendet.
Es fällt uns leicht, tausende von Gesichtern wieder zu erkennen, obwohl sie sich mit der Zeit verändern, und erinnern uns auch an Orte und Gegenstände, obwohl wir diesen in verschiedenen Lichtbedingungen begegnen. Wir erkennen das auditorische Muster von fliegenden Wespe wieder, das Röhren eines Porsche 911 Motors oder den einzigartigen Stil des Pianisten Dinu Lipattis, wenn er einen Chopin Walzer spielt. Regelmäßigkeiten und Muster sind überall, und deren Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedererkennung ist für unser Überleben von fundamentaler Bedeutung.
Verbesserte Mustererkennung während eines Marihuana Highs
Es gibt sehr viele Berichte von Marihuana Nutzern über die Verbesserung verschiedener Typen von Mustererkennung. Der Harvard Psychologie-Professor Charles Tart bewertete in seiner Studie die verbesserte Mustererkennung als einen charakteristischen Effekt, der wiederholt von Marihuana Nutzern während eines Highs beobachtet wurde. Ungefähr ein Drittel der Nutzer bewerteten z.B. die folgende vorgeschlagene Aussage als korrekt für ein starkes bis sehr starkes High:
„Ich kann Muster erkennen, Formen, Figuren, bedeutungsvolle Designs in visuellem Material, welches keine spezifische Form hat, wenn ich es nüchtern im Normalzustand sehe, sondern nur bedeutungslose Formen oder Linien.“ [1]
Tarts Studie zeigt, dass Marihuana Nutzer nicht nur von dieser verbesserten Mustererkennung für visuelle Muster berichten, sondern auch für alle möglichen Arten von Mustern, die über die verschiedenen Sinne wahrgenommen werden.
Ich habe selbst wiederholt festgestellt, dass ich während eines Highs besser Fremdsprachen verstehe, eine Beobachtung, die auch Nutzer auf Lester Grinspoons Webseite „Marihuana-uses“ berichten (siehe “Lady Chatterley Stoned” und “(Some experiences With) Language and Learning”). Ein weiterer anonymer Beitrag von „Rob“ beschreibt, wie ein High ihm dabei half, eine Art von „schüchterner Rigidität“ in seiner Art zu gehen zu erkennen:
„Ich hatte Glück, in dieser Nacht high zu werden – viele Marihuana Nutzer berichten ja, dass sie nicht high werden, wenn sie das erste Mal Marihuana rauchen. Ich hatte eine erstaunliche Einsicht, als ich nach Hause lief. Während ich so auf dem von Bäumen gesäumten Gehweg schlenderte und mich mit einem Freund unterhielt, fühlte ich eine Steifheit in meinem Gang und fühlte mit jedem Schritt eine Art schüchterner Rigidität. Seitdem habe ich meine Art zu gehen verändert, hin zu einem selbstbewussten, offenen Gang mit langen Schritten und mit leisem Auftreten.“
Rob’s Erfahrung enthält einen Aspekt, den viele Berichte über eine verbesserte Mustererkennung während eines Highs nennen: eine Verlagerung der Aufmerksamkeit. Rob richtet seine Aufmerksamkeit nicht mehr hauptsächlich auf die Konversation mit seinem Freund, sondern auf seinen eigenen Körper und seinen Laufstil, welches ihm erlaubt, ein Muster wahrzunehmen, dessen er sich vorher nicht bewusst war.
Andere Marihuana-Nutzer haben von ähnlichen Prozessen berichtet, bei denen sie ihre Aufmerksamkeit weg von dem verbalen Gehalt hin zur Körpersprache ihrer Gesprächspartner richteten.
Warum entdecken wir neue Muster während eines Highs?
Ich bin mir aber sicher, dass es sehr viel mehr Veränderungen von kognitiven Prozessen während eines Marihuana Highs gibt, welche Nutzern erlaubt, besser Muster zu erkennen, welche sie vorher nicht wahrgenommen haben. Der Hyperfokus der Aufmerksamkeit hilft ihnen sicher, einer genaueren Wahrnehmung dessen zu erhalten, was immer in ihrem Fokus liegt.
Auch hilft vermutlich ein verbessertes episodisches Gedächtnis leichter Muster wiederzuerkennen, die Dingen ähneln, welche man in der Vergangenheit wahrgenommen hat; wenn ich besser an meine letze Begegnung mit einem Dalmatiner und sein Aussehen erinnere, wird dies die Wiedererkennung eines Dalmatiners in einem abstrakten Bild mit schwarz-weißen Formen erleichtern.
Auf einer tiefer liegenden neurologischen Ebene habe ich in meinem Buch „High. Insights on Marihuana“ (dogearpublishing 2010) vorgeschlagen, dass Marihuana zu einem synästhetischen Effekt führen könnte (bzw. für niedrigere Dosen zu einem prä-synästhetischen Effekt), von welchem der Neurowissenschaftler Vilayanur Ramachandran denkt, er könne eine wichtige Rolle in der Erklärung von Mustererkennung spielen.
Robs Bericht verdeutlicht auch sehr schön, welche Rolle das bewusste Erkennen eines Musters dabei spielt, dieses schließlich überschreiten und ändern zu können. Rob musste erst verstehen, dass sein Gehen einem solchen Muster unterliegt, um dann bewusst eine Entscheidung zu treffen, dieses Muster in seinem Verhalten zu ändern.
Schlussendlich erlaubt ein Marihuana High einem Nutzer also nicht nur, neue Muster in der Natur zu sehen, in der Musik, in der Kunst, in Vorgängen in unserer Gesellschaft oder in sich selbst und bei anderen. Es erlaubt ihm auch, mit bisher nicht wahrgenommenen Mustern zu brechen, wenn diese unerwünscht sind.
Dies ist nicht nur eine der wichtigsten Grundbedingungen für Kreativität, sondern auch eine unerschöpflich Quelle für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Ein Marihuana High kann dazu führen, dass man versteht, dass man beim Sex einer langweiligen Routine folgt und man kann diese ändern und überschreiten. Man kann auch feststellen, dass man bei Familienangelegenheiten einem bestimmten unguten Muster folgt, oder dass man auf eine ungesunde Art auf Stress reagiert.
Wenn man Marihuana auf die richtige Art und Weise verwendet, wenn man lernt, ein High zu surfen, dann kann es dabei helfen, viele unerwünschte Routinen und Angewohnheiten zu erkennen und von ihnen los zu kommen – weshalb Marihuana auch in der Behandlung von verschiedenen Süchten erfolgreich sein und dabei helfen kann, als Person zu wachsen.
Was bedeutet es, High zu sein?
Marihuana kann unsere Bewusstsein auf eine Art und Weise verändern, die es uns ermöglicht, eine andere Perspektive auf Muster im Leben zu bekommen. Es ist, als würde man von oben herab sehen, um sein Leben und das der anderen auf eine besondere Art zu betrachten. Man sieht verschiedene Muster im Leben und in der Realität, Muster, die sich in Raum und Zeit erstrecken, die normalerweise unsichtbar sind.
Der Film Koyaanisquatsi nutzt Zeitraffer als Methode, um die wiederkehrenden Muster des Alltags zu visualisieren. Er zeigt zum Beispiel die Vogelperspektive einer langen Straße in einer Stadt, in der sich Autos durch synchronisierte Ampeln bewegen.
Im Zeitraffer sehen wir einen Tanz von Autos in einem mechanischen Rhythmus und verstehen, dass wir alle diesen mechanischen Tanz tanzen, ohne dies noch zu bemerken. Marihuana kann einem auf eine ähnliche Weise eine neue Perpektive auf die Muster im Leben geben.
Es ist fast so, als stünde man auf einem Hügel, um auf die uniform angelegte Nachbarschaft zu sehen und zu realisieren, in welchem langweiligen und austauschbaren Muster man selbst und diese Nachbarn ihre Leben verbringen, in diesen “little boxes on the hillside, little boxes made of ticky-tacky, (…) little boxes all the same”, wie es Malvina Reynolds einmal in ihre Song ausdrückte, der später zum Titel der Comedy-Serie Weeds wurde.
Vielleicht ist die Inspiration für den Begriff ‚High‘ ja genau dieses euphorische und erhebende Gefühl beim Betrachten der Muster von dieser „High“-Perpsektive, und dann das Gefühl der Möglichkeit, diese Muster und Routinen überschreiten zu können. Für mich hat der Begriff ‚High‘ genau diese Bedeutung.
[1] Tart, Charles T. (1971). On Being Stoned: A Psychological Study of Marihuana Intoxication. Palo Alto, Cal.: Science and Behavior Books, str. 71.