In der ganzen Welt können wir die historische Bedeutung von Hanf in der Gesellschaft erkennen. Romane, Verwaltungstexte, Gedichte, Dramen und Songs bezeugen das. Auf andere Weise erkennen wir seine historische Bedeutung an vielen Ortsnamen von Städten und Dörfern, von denen bekannt ist, dass dort der Anbau von Hanf, die Textilerzeugung usw. betrieben wurden.
In Europa gibt es Hunderte solcher Städte, auch wenn die Geschichte hinter ihrem Namen nicht immer klar ist. Ein Eintauchen in die Geschichte dieser Städte kann uns viele Informationen über die Cannabisnutzung in der Vergangenheit vermitteln und uns einen gleichsam optischen Eindruck von der etymologischen Entwicklung der Bezeichnungen für Cannabis verschaffen, die sich vollzogen hat, als sich das Wissen über die Pflanze und ihren Anbau im Laufe der Zeit über den Kontinent verbreitete.
Wie die Etymologie uns Hinweise auf die Vergangenheit gibt
Die Herkunft des modernen Worts „Cannabis“ ist etwas unklar. Das deutsche Wort stammt zwar direkt von dem griechischen kannabis ab, dessen Vorgeschichte liegt aber etwas im Dunkeln. Die bekannte Sprachwissenschaftlerin Elizabeth Wayland Barber geht davon aus, dass das Wort aus einer alten proto-indoeuropäischen (PIE) Wurzel *kan(n)aB– stammt und dass die Griechen ihren Begriff dafür dann von den Skythen oder Thrakern übernommen haben.
Obwohl die frühe Geschichte schwierig zu eruieren ist, können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die herkömmlichen, in so gut wie allen Staaten Europas verwendeten Bezeichnungen für Hanf aus dieser Wurzel abgeleitet sind. Beim italienischen canapa, dem französischen chanvre, dem spanischen cáñamo ist das ziemlich offensichtlich. Erstaunlicherweise leitet sich auch das Wort „Hanf“ aus derselben Wurzel ab, obwohl es vollkommen anders klingt.
Werfen wir also einen Blick auf die Geografie von Orten mit auf Hanf bezogenen Namen in Europa. Dabei können wir vielleicht erfahren, wie sich diese etymologische Entwicklung abspielte.
Hanfstädte der slawischen Regionen
Zunächst werfen wir einen Blick auf die Entwicklung des Worts für „Cannabis“ im Bereich der slawischen Sprachen. Zu den slawischen Sprachen gehören Tschechisch, Russisch, Polnisch, Bulgarisch, Serbisch, Kroatisch und viele andere wichtige osteuropäische Sprachen.
Die historische Verbindung zwischen den Skythen und den slawischen Völkern in Zentral- und Osteuropa ist eng. Historische Funde legen einen großen kulturellen und linguistischen Einfluss der Skythen auf die frühen Slawen nahe. Manche Hypothesen gehen so weit zu behaupten, dass die modernen slawischen Völker von skythischen und sarmatischen Völkern abstammen, die zwischen Donau und Wolga bis an die Nordküste des Schwarzen Meeres siedelten.
Grundsätzlich folgen die slawischen Worte für Cannabis einem bestimmten Muster. Sie basieren alle auf der Wurzel konop- (Russisch konopljá, Tschechisch konopí, Kroatisch konoplja, Bulgarisch konop), die eindeutig der PIE-Wurzel *kan(n)aB- entspricht. Dementsprechend folgen auch die Ortsnamen, die mit Hanf in Beziehung stehen, ähnlichen Mustern.
Konopiště, Tschechische Republik
Etwa 40 km südlich von Prag liegt das Schloss Konopiště, das frühere Jagdhaus des Erzbischofs Franz Ferdinand. Hanf (konopí) wurde früher auf dem zum Schloss gehörenden Land angebaut. Die Bezeichnung Konopiště bedeutet offenbar „Hanffeld“ oder „Ort, an dem Hanf verarbeitet wird“.
Konopki, Konopnica und Konopiska, Polen
In englischer Sprache stehen nur wenige Informationen zu Verfügung, aber es sieht so aus, als ob alle diese kleineren polnischen Orte nach dem Wort für Hanf benannt worden sind. Außerdem geht aus Dokumenten hervor, dass der Nachname „Konopka“, den es u.a. im Polnischen, Tschechischen, Russischen gibt, von dem Wort Hanf abgeleitet wurde.
Menschen mit diesem Namen stammen entweder aus Siedlungen, die wie Konopki nach dem Hanf bezeichnet wurden, oder sie erhielten den Namen eines Vogels, der gerne Hanfsamen frisst. Bei dem Vogel handelt es sich um den Bluthänfling (konopka) oder Linaria cannabina. Sein lateinischer Name rührt ebenfalls von seiner Gewohnheit her, Hanf- und Flachssamen zu fressen!
Konop und Konopa, Bulgarien
Konop, das bulgarische Wort für Hanf, stand offenbar direkt Pate für die Benennung des modernen Dorfs Konop. Es gibt aber kaum Informationen über die Geschichte und den Ursprung dieses Namens.
Bulgarien hat allerdings eine lange und reiche Geschichte als Staat, der in Europa zu den führenden Hanfproduzenten zählt (und heute der europäische Produzent Nr. 1 ist). Obwohl aktuelle Informationen schwer zu finden sind, kann ein Blick in historische Dokumente interessante Erkenntnisse vermitteln.
Alte Dokumente weisen nämlich darauf hin, dass es im Jahr 920 eine große und wichtige Hafenstadt namens Konopa gab, die zwischen der Donaumündung und der Stadt Varna an der Schwarzmeerküste lag. Anscheinend war die Stadt gut etabliert und hat vielleicht zu diesem Zeitpunkt bereits Jahrhunderte existiert. Heute scheint es aber kaum noch Spuren von ihr zu geben.
Ihr Name, der offenkundig „Hanf-Stadt“ bedeutet, weist auf die Bedeutung des Hanfs hin. Sie lag in einem fruchtbaren sumpfigen Bereich an den Grenzen des historischen Reichs der Skythen und wäre deshalb ein idealer Standort für den Aufbau einer Siedlung, die vom Anbau von Hanf lebt.
Kanepi, Estland
Hier gibt es eine Anomalie, denn das Estnische gehört gar nicht zu den slawischen Sprachen. Es ist nicht einmal wie das Litauische oder Lettische eine baltische Sprache (Litauisch und Lettisch sind ebenfalls nicht slawisch, haben aber eine so enge Beziehung zu den slawischen Sprachen, dass sie als Mitglieder einer baltisch-slawischen Sprachgruppe angesehen werden).
Estnisch ist nicht einmal eine indoeuropäische Sprache, sondern gehört zu der mysteriösen älteren Gruppe der finnisch-ugrischen Sprachen. Wegen der geografischen und kulturellen Nähe zu anderen Sprachgebieten wurde das Wort für Cannabis (kanepa) offenbar von den baltischen oder russischen Nachbarn übernommen! Das zeigt sich in dem Dorf mit dem Namen Kanepi („aus Hanf“), das ein wichtiger traditioneller Ort des Hanfanbaus war.
Hanf-Städte im Bereich der romanischen Sprachen Europas
Zum romanischen Sprachraum gehören Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Rumänien und Teile der Schweiz und Belgiens. Ihre Sprachen sind direkt vom Lateinischen abgeleitet und weisen deutliche Ähnlichkeiten auf, auch bei ihren Worten für Hanf.
Canepina, Italien
Canepina ist eine Gemeinde in der Provinz Viterbo und liegt etwa 60 km nordwestlich von Rom. Der Name leitet sich direkt von dem italienischen Wort für Hanf, canapa, ab. Ursprünglich hieß sie Canapina, wodurch die etymologische Herkunft noch deutlicher wird.
Canepina war weithin bekannt als wichtiger Standort für die Hanfverarbeitung. Zu den hergestellten Hanfwaren gehörten auch Papier und Textilien. Historische Dokumente legen nahe, dass der Ort um 1600 gegründet wurde, als die Hanfindustrie in Italien bereits hoch entwickelt und sehr produktiv war.
2016 wurde die lange Geschichte der Hanfproduktion in Canepina mit der Veranstaltung „I Love Canapina – La Canapa In Mostra“ gefeiert. Das Fest findet am 20. und 21. Mai 2017 erneut statt. Jeder, der Canepina wegen seiner langen Hanf-Geschichte besucht, sollte auch einen Besuch im Agriristoro Il Calice e la Stella machen, einem hochkarätigen Restaurant mit einer an Hanf orientierten Speisekarte und einem sehr sachkundigen Besitzer!
Cañamares, Spanien
Cañamares ist eine Gemeinde mit etwas über 500 Einwohnern und liegt in Cuenca in der autonomen Region Kastilien-La Mancha in Spanien. Cañamares war einmal ein sehr bedeutendes Regionalzentrum für die Herstellung und Verarbeitung von Hanf. Deshalb zieren drei kerngesunde Hanfpflanzen ihr Wappen.
Ohne Zweifel hat Cañamares schon einige Zeit hinter sich gebracht. In einem „neuen Spanisch-Englisch-Wörterbuch“ von John Stevens aus dem Jahre 1726 gibt es den Eintrag „Cañamar, ein Feld, auf dem Hanf angebaut wird. Ferner der Name einer Stadt im Bistum Cuenca und einer Familie in Spanien.“
Chennevières, Frankreich
In Frankreich gibt es mehrere Städte, deren Name eine Hommage an die Geschichte der Hanfproduktion und -verarbeitung ist. Und tatsächlich gibt es gleich zwei Orte mit dem Namen Chennevières – Chennevières-lès-Louvres in Val d’Oise, Nordfrankreich, und Chennevières-sur-Marne, eine Kleinstadt, die zu den südöstlichen Vorstädten von Paris gehört. Beide zeigen ihre historische Verbindung mit Hanf auf ihren Wappen, genau wie die spanische Stadt Cañamares.
Kenderes, Ungarn
Hier gibt es eine weitere interessante Anomalie. Ungarisch ist keine romanische Sprache, sondern gehört wie Estnisch den finnisch-ugrischen Sprachen an. Der Name Kenderes ist daher nicht auf eine lateinische Wurzel zurückzuführen. Stattdessen stammt das Wort aus der türkischen Sprachfamilie, zu der Türkisch, Krim-Tatarisch und Aserbaidschanisch gehören.
Wegen des großen kulturellen Einflusses des Osmanischen Reichs stammt das ungarische Wort für Hanf, kender, direkt von dem türkischen kendir, das dann letztlich von der PIE-Wurzel *kan(n)aB abstammt. Der Name Kenderes lässt sich etwa mit „derjenige, der Hanf hat“ übersetzen und ist sowohl ein Orts- als auch Familienname.
Hanf-Ortsnamen im germanischen Europa
Und so gelangen wir zur dritten und letzten der großen Sprachfamilien, der germanischen. Dieser Zweig ist besonders interessant, da wir hier erkennen können, wie das Wort *kan(n)aB- seinen mühevollen Weg durch die Jahrtausende nahm, um schließlich zu „Hanf“ zu werden.
Man glaubt, dass die Wurzel *kan(n)aB- sich allmählich etwas veränderte und zu *hanap- wurde. Daraus entstand das proto-germanische *hanapiz, aus dem sich wiederum das altenglische haenep, das mittelniederländische hennep und das althochdeutsche hanaf ableiteten. Von dort aus leiteten sich die modernen Formen hemp, hennep und Hanf ab.
Hennef, Deutschland
Die Stadt Hennef in Deutschland ist die wahrscheinlich größte und wichtigste direkt nach Hanf benannte Siedlung, die auch eine belegbare Geschichte der Hanfproduktion hat. Sie besteht seit mehr als tausend Jahren und hat im Laufe dieser Zeit eine dramatische etymologische Entwicklung gesehen. Bei der ersten Erwähnung im Jahr 1064 wurde sie noch als Hannafo bezeichnet. Seit dem war sie einmal als Hanapha, einmal als Hanfbach bekannt und nennt sich jetzt eben Hennef.
Hennef war während seiner gesamten Geschichte als Hanf-Stadt bekannt. In den letzten Jahren fanden dort bedeutende internationale Konferenzen und Veranstaltungen mit einem Bezug zu Cannabis und Hanf statt, wie zwischen 1996 und 2003 die CannaBusiness Expo.
Hempstead, Großbritannien
Bemerkenswerterweise wurde der gut bekannte Ort Hemel Hempstead in England nach einer Person mit dem Namen Hemp benannt, nicht wegen einer Geschichte der Hanfherstellung.Es gibt aber mehrere andere Hempsteads in England, die ihren Namen wegen ihrer historischen Hanfproduktion erhielten. So befindet sich in Schottland die kleine Stadt Hempriggs; früher gab es ebenfalls in Schottland eine als Hemphill bezeichnete Stadt, die aber untergegangen ist und ihre Spuren in Form eines relativ verbreiteten Familiennamens hinterlassen hat.
Hamppu, Finnland
Eine weitere bemerkenswerte Anomalie tritt in der dritten finnisch-ugrischen Sprache Europas als Besonderheit zutage. Es scheint, dass alle finnisch-ugrischen Sprachen ihr Wort für Hanf und Cannabis einer nahe gelegenen und einflussreicheren Kultur entnahmen, das estnische kanep aus baltisch-slawischen Quellen, das ungarische kendir aus dem Türkischen und das finnische hamppu aus dem Germanischen.
Das könnte ein Beleg dafür sein, dass die finnisch-ugrische Kulturzone Cannabis vor seiner Einführung durch die Proto-Indoeuropäer gar nicht kannte! Diese Idee wird sogar von Elizabeth Wayland Barber gestützt. Sie schrieb: „Es ist kein verbreitetes Ural-Wort bekannt. … Das einzige verbreitete finnisch-ugrische Wort für eine derartige Pflanze, nämlich polna ‚Hanf’ scheint für alle Faserpflanzen verwendet worden zu sein“.
Auf jeden Fall sieht es so aus, als ob das Wort für Hanf direkt als Bezeichnung für den als Hamppu bekannten kleinen, unbedeutenden Felsen in der Mitte des Flusses Aura nahe bei der Stadt Turku verwendet wurde, obwohl es keine Erklärung gibt, warum das geschehen ist.